Excuse me for my bad english
I’m a teacher from Germany. I learned English 20 years ago.” sind meine ersten Worte, wenn ich zaghaft versuche, mich mit jemanden zu unterhalten. „Entschuldige mein schlechtes Deutsch, ich lernte es vor langer Zeit,“ bekomme ich häufig als Antwort.
Der erste Tag aber war am schlimmsten.
„How do you do? ”, „Did you had a good flight?”, „What do you say about finland, when you look at the sky?” Ich verstehe jedes Wort. Aber muss ich jetzt auch in englisch antworten? Ein Kloß sitzt im Hals, meine Zunge klebt fest. „Yes, it’s good.” Alle freuen sich, dass es mir so gut geht. Und ich bin doch nur mitgefahren, weil es hieß, hier sprechen alle deutsch! Es ist ja klar, dass ich dann auch kein Wörterbuch brauche, zumindest kein Wörterbuch finnisch-deutsch.
Ich wohne bei Helena in einem alten Bauernhaus, das erst vor kurzem saniert wurde. Beim ersten Rundgang um das Haus versinke ich mit beiden Beinen bis zu den Knien im Schnee. Bloß gut, dass ich Halbschuhe anhabe und keine Sandalen. Wer kann denn schon wissen, dass Ende April die Sonne in Iisalmi auf 63,5 ° nördlicher Breite und 600 km vom Polarkreis entfernt maximal 36° hoch steht und die mittlere Tagestemperatur drei Grad beträgt. Ich bin doch kein Geografielehrer. Dass die kommenden zwei Wochen die wärmsten in Finnland seit über 30 Jahren werden, konnte ich ja schließlich auch nicht ahnen. Mein dicker Koffer, gepackt mit den wärmsten Pullovern, die ich habe, hat mir nicht geholfen. Hätte ich lieber Sandalen mitgenommen.
Beim ersten Schulrundgang stolpere ich nicht wirklich über ein Zeichen, aber ich ringe nach Luft. Mit zwei Metern Durchmesser sticht mir ein Zeichen in die Augen, dessen öffentliche Darstellung in Deutschland verboten ist. Pekka erzählt mir, dass dieses Zeichen von vielen Völkern meist aus religiösen Interesse genutzt wurde. Es ist über 4000 Jahre alt und stammt eigentlich aus dem Iran.
Beim Rundgang durch die Kellerräume sehe ich Sport- und Entspannungsräume mit Liegen für Schüler! Das Mittagessen ist für alle Schüler frei.
Die Lehrer strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Ich sehe keinen rennen oder hektisch kopieren. Natürlich kommt dann zum Unterrichtsbeginn kaum einer pünktlich. An welcher anderen Schule habe ich das auch schon gesehen?
Die Lehrer unterrichten zwischen 12 und 30 Wochenstunden und werden auch entsprechend der Anzahl der Wochenstunden bezahlt. Das Jahr ist eingeteilt in 6 Zeitabschnitte zu je 6 Wochen. In jedem Zeitabschnitt gibt es Pflicht- und Wahlkurse. Jeder Kurs hat 5 – 6 Wochenstunden. Klassen in unserem Sinne gibt es nicht. Die Schüler haben zwischen 2 ½ und 4 Jahren Zeit, sich durch Belegung entsprechender Kurse für das Abitur zu qualifizieren. Dann gibt es Prüfungen, die von den Schülern bezahlt werden müssen. Ein Vergleich mit dem deutschen Bildungssystem drängt sich auf: Unseres war früher gut, heute ist es besser. Ich denke, es wäre besser, es wäre wieder gut!
Die Finnen duzen sich, auch Lehrer und Schüler. Sie müssen sich konzentrieren, uns Deutsche mit Sie anzusprechen. Aber ich kann helfen: „You can say You to me“, sage ich natürlich in Deutsch.
Mit einer extra für uns gefertigten timetable stelle ich meinen Hospitationsplan zusammen. Ich habe keine Eile, es sind ja 2 Wochen Zeit. Dass die Anzahl der tatsächlich gesehenen Stunden dann doch niedriger ist, ahne ich noch nicht. Natürlich besuche ich den Deutsch – Unterricht von Tuovi. Ich sehe auch drei German students. Lächeln. Es klingt niedlich, wenn die Finnen deutsch sprechen. Liisas Englisch – Stunden gefallen mir sehr gut, weil sie meinen kargen Wortschatz auffüllen. Ich traue mir nun schon zu, zwei Sät-ze zusammenhängend mit nur einer Pause zu sprechen. Es geht voran.
Zeitgleich sind auch russische Schülerinnen und Lehrerinnen an der Schule. In einer freien Minute erinnere ich mich an mein Russisch. Ich werde mutig und greife die Russian ladies an: „Wui gawaritche pa russki?“1) Ganz so ernst meine ich es eigentlich nicht. Mit einer wahren Wortflut in einer hohen Tonlage werde ich überschüttet. Ich kann gerade noch bremsen. „Kagda wui gawaritche ne buistro, ja panemaju.“2) Aber so langsam können sie nicht sprechen, damit ich sie verstehe. Ich gebe auf. Wir sprechen weiter englisch. Sie kommen aus Kirishi, etwa 100 km südlich von St. Petersburg. Ein amerikanisches Unternehmen finanziert die Reise und sponsort die Schule.
Zum Begrüßungsabend sitzen wir fröhlich beisammen. Keiner ahnt etwas Böses. Ich hole zum nächsten Schlag aus. Ad hoc erhebe ich mich und schmettere ein altes Meisterwerk der russischen Arbeiter- und Bauernklasse, nicht melodisch, aber laut. „Sabota u nas prastaja,...“3) durchdringt meine kräftige Stimme den Raum. Die Russinnen erkennen das Lied doch und singen mit. Auch wenn sie Textprobleme haben. Standing ovations. Auch die Leute an den Nachbartischen klatschen. Vor 12 Jahren wäre das als Beitrag zur Deutsch-Sowjetischen Freundschaft glatt weg durchgegangen. Damit komme ich noch zu meinem russischen Erfolgserlebnis. Leider sind wir insgesamt nur acht Personen. Da fällt mir ein, dass in Germany eine Liste aushang, als die Finnen im letzten Jahr zu Besuch waren. Wer Interesse hat, kann zum Begrüßungsabend mitkommen. Ich hatte damals keine Zeit.
Nach einigen Tagen treffe ich immer noch Lehrer, die ich noch nicht kenne. Die erste Frage kann ich nun schon unausgesprochen und fließend beantworten: „Yes, it was my first flight. Wonderful. The sun was shining in the deep blue sky. The clouds look like … look like Wattebäuschchen. I saw frozen lakes and large forests.” Die nächste Frage muss mein Gegenüber etwas langsamer wiederholen. Mit Englischlehrern habe ich halt noch etwas Probleme. Ich gehe wieder zu Liisa, um die Löcher zu füllen.
In Physik werden gerade Alltagsprobleme behandelt. Ich unterhalte mich mit Reijo die ganze Stunde. Natürlich erst, nachdem wir und gegenseitig beteuert haben, wie schlecht wir englisch sprechen. Er erklärt mir die Experimente und zeigt mir Gerätschaften, von denen ich nur träumen kann. Ich sehe auch seine Protokolle, die er für manche Klassen in Englisch oder in Schwedisch verfasst hat. Da diese beiden Sprachen für die meisten Finnen Pflichtsprachen sind, sollte es eigentlich keine Probleme geben. Manche können damit aber nichts anfangen. Woran kann das bloß liegen? Die Idee mit den Sprachen gefällt mir ganz gut. Na ja, Schwedisch muss es nicht sein!
Im Informatikunterricht erfahre ich von Ari, dass es drei verschiedene Wahlkurse mit den Themen Grundwissen, Textverarbeitung und Internet gibt. Tabellenkalkulationen, Datenbanken und Programmierung stehen nicht im Lehrplan. Wir zeigen uns gegenseitig unsere Webseiten. Natürlich funktionieren die Links zur jeweils anderen Schule nicht.
Schüler habe ich auch mit. Manchmal sehen wir uns. Es sind wohl sechs. „Können wir nicht noch eine Woche hier bleiben? Oder zwei?“ Ich kann sie gut verstehen. Es gibt noch soviel zu sehen und ich müsste noch soviel erzählen; von den unzähligen interessanten Gesprächen mit Pirjo und allen anderen netten und freundlichen finnischen Lehrern, von der Betriebsbesichtigung in einer der drei finnischen Brauereien, von meinem ersten und dann noch echt finnischen Saunabesuch mit Abkühlen im Schnee, vom arcticle circle, den ich nicht betrat, vom Nordlicht, das ich nicht sah, von meiner ersten Unterrichtstunde in einer finnischen Fremdsprache, vom Eisangeln mit dem Ex-Nationaltrainer der finnischen Skilanglauf – Frauennationalmannschaft, vom Bäume fällen mit GPS, von der Champions League bei Pasi, vom Leben eines Feuerwehrmanns, vom Karneval am 1. Mai, über den auch hier existierenden Irish Pub mit Eintritt erst ab 18, von meinem ersten Elch auf dem Teller, vom Besuch des Koli – Nationalparks, wo sogar Schotten mein Englisch verstehen, von Laurentia beim Survival Training, vom letzten Abend mit vielen Lehrern (die Liste fällt mir wieder ein, aber ich hatte wirklich einen wichtigen Termin), vom Abschied auf dem Flugplatz, from tears in the sky.
Kitos suomi.
Ich bin mir nun auch gar nicht mehr so sicher, ob ich bei der Begrüßung sagte, vor oder seit 20 Jahren.
Nobody is perfect.
Bernd Schmidt
Teacher from Germany